"Literatur outdoors" 15.2.23

 

5 Fragen an Künstler: Steffen Marciniak, Schriftsteller

Interview geführt von Walter Pobaschnig für "Literatur outdoors", am 30.12.22, veröffentlicht am 15.2.23. Das Interview wurde online geführt.

„Bedingungen schaffen, die das Schreiben nicht als Weg in die Armut führen lässt“ Steffen Marciniak, Schriftsteller - Berlin 15.2.2023

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5 Fragen an Künstler: Steffen Marciniak, Schriftsteller
 

Lieber Steffen, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Meinen Tagesablauf kann ich als konfus, manchmal auch chaotisch bezeichnen. Das ist überwiegend der empfindlichen Gesundheit gedankt, die mich hier und da, am Tage plötzlich ermüden lässt und mir schläfrige Ruhepausen abnötigt. So geraten Tag und Nacht manchmal arg durcheinander. Ein Nachtmensch war ich aber immer schon.
Gern ziehe ich die kreativen und freudvollen Arbeiten dem Bürokratischen vor, schiebe Letzteres weiter nach hinten, bis es sich wieder meldet und brenzlig auflodert. Ich versuche, niemals mehr als einen auswärtigen Termin anzusetzen, um Stress aus dem Weg zu gehen.
 
Unterwegs in der Bahn lese ich und staune, wie wenige das noch tun, dafür habe ich es bis heute geschafft, ohne Mobiltelefon zu leben, dem Lieblingsgerät der anderen Bahnfahrer. Daheim schaffe ich es momentan nicht, so viel wie früher zu lesen. Insbesondere bei Romanen muss ich sorgfältiger auswählen, benötige viel mehr Zeit. Meine Neigung wandte sich aber mehr der kürzesten literarischen Form zu, die sich unaufhörlich lesen lässt: der Lyrik. Dafür bediene ich mich meiner, im Lauf der Jahre schier unerschöpflich angewachsenen Lyrikbibliothek, zu der immer wieder neue Bücher hinzukommen.
 
Gibt es weitere Rituale in dieser Mixtur eines Tagesablaufs? Einmal die Woche muss es sein: da gehe ich in meine Lieblings-Sushi-Bar "Ishin" in Berlin-Mitte, eine Erbgewohnheit, die sich durch das zweimalige Besuchen Japans noch verstärkt hat.
 
Neben dem eigenen Schreiben benötige ich immer mehr Zeit, für die von mir herausgegebene Lyrik-Edition NEUN, samt engem Kontakt mit Autoren und Buchgestaltern. Nach meinem gerade erscheinenden Gedichtband „Prinzenverstecke“ soll bald mein vierter Band der „Ephebischen Novellen“ zum griechischen Mythos um Hyakinthos erscheinen. Außerdem plane ich immer wieder Lesungen und organisiere und nehme an Literaturfestivals und Buchmessen teil.
 
 
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ein „uns alle“ ist ein schwieriges Unternehmen, denn Menschen sind Individualisten, die ihre eigens eingeschlagenen Wege beschreiten und solche wählen können, die mit Freude zur Erfüllung der Träume und Vorstellungen ihres Lebens beitragen. Wenn es dabei gelingt, nichts anzurichten, was anderen Schaden oder Leid zufügt, wäre viel erreicht. Und alle, die sich daran orientieren, sollten die Hoffnung nicht verlieren, dass auch der Rest sich davon überzeugen lässt. Ich hatte diese Hoffnung immer, doch mischt sie sich heute mit Zweifel. Wann endlich wird die alles hemmende Armut besiegt, in der Welt, aber auch die, in westlichen Gesellschaften? Nur das Ende der Armut kann Missgunst und Neid besiegen, die oft Grundlage für Hass und Hetze sind.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

In erster Linie die Bildung verstärken, Wohlstand schaffen, um der Zerstörungswut den Boden zu entziehen. Nur wer sich bewusst wird, was er ist, weiß und kann und weiß, was es zu verlieren gibt, der kann sich gegen den Hass stemmen, der nicht aufzuhören scheint, und er lernt wenigstens, ein Wahlkreuz abzugeben. Kunst und Literatur kann, wie es schon oft beschrieben wurde, die Sensibilität des Menschen stärken, nicht nachzulassen, tugendhaftes Handeln aufzuzeigen. In meinem Wesen liegt es eher, den zeitlosen Formen allgemein menschlicher Fragen von Leben, Bewahrung und Tod, Schönem, Gutem und Wahrem zu folgen; und natürlich immer wieder Bildung, die Hass, Hetze, Dummheit und Propaganda lächerlich erscheinen lässt. Ich mag nichts Radikales, weil das Angst, Depressionen und Verzweiflung gerade bei Unvermögenden auslöst. Das Setzen allein auf die Wirtschaft wird den Menschen kein Glück bringen. Kunst und Literatur sollten viel stärker ein anstrebbares Gegengewicht zum ständigen Höher, Schneller, Reicher werden, und den dafür Empfänglichen Erfüllung geben. Als Voraussetzung müssen Bedingungen geschaffen werden, die das nicht als Weg in die Armut erscheinen lassen. Meine Unterstützung gilt dem bedingungslosen Grundeinkommen.

Was liest Du derzeit?

Vor allem lese ich zur Zeit Lyrik. Gedichte in Bänden aus meiner Lyrikbibliothek, Klassiker des 20. Jahrhunderts, wie Stefan George, Albert H. Rausch, Hanns Meinke, und ich bin seit jeher immer auf der Suche nach wenig bekannten Namen aus dieser Zeit. 
Aus der Gegenwartslyrik lese ich u.a. gerade Şafak Sariçiçek, Klaus Anders, Christian Lehnert oder Ralph Roger Glöckler. Bei Prosa bin ich leselangsamer geworden, dort fasziniert mich gerade Gabriel Wolkenfelds „Babylonisches Repertoire“. Zum wiederholten Lesen nehme ich mir immer wieder meinen liebsten Autor, den trotz Georg-Büchner-Preis 1932 heute unbekannter gewordenen Henry Benrath (d.i. Albert H. Rausch) vor, besonders zu empfehlen ist sein letzter Roman „Die Geschenke der Liebe“.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Es muss natürlich nun ein Aphorismus des eben erwähnten Albert H. Rausch sein:   
„Mit Menschen, welche weiße Tulpen lieben, kannst du über Gedichte sprechen“  
(zuletzt veröffentlicht im Band „Tempelstufen“).

Vielen Dank für das Interview lieber Steffen, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

 
 
Ebenfalls auf der Seite von "Literatur outdoors" erschien am 23.11.22 
mein Akrostichon "Geplünderte Länder": 

 

 

„Geplünderte Länder“ Steffen Marciniak, Schriftsteller - Give Peace A Chance - Berlin 23.11.2022

GIVE PEACE A CHANCE

 
Geplünderte Länder

Geplünderte Länder · Geflüchtete

Im Morast vor den Mächtigen · sehnen sich nach

Verwandlung ihres  Leidensalphabets · in                      

Einen immerwährenden Frieden.

Propheten mit ihren mundlosen Lügen

Erhärten den Glauben an Siege · im Tross von

Ares´ Kohorten · zum letzten Spiel auf

Cellosaiten · bedrohliche Töne für

Einen todverdammten Feind.

Apokalyptische Särge in Menschenblut.

Chöre erschreckter Engel · gekommen zum

Heilen der Wunden ·Trocknen der Wangen ·

Augenlidersenken verbannt Tränen in Seelenstaub ·

Nähe eröffnet den Sanften das Handeln ·

Chancen für das leise Rühren · an

Ein Weltgewölbe aus Liebe.


Steffen Marciniak, 21.11.2022

 


 
 
 

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